TwoGo or not TwoGo

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Einige Monate sind nun ins Land gezogen, seit ich den Relaunch des TwoGo-Portals für die Allgemeinheit begutachten durfte. Mein damaliges Fazit spiegelte ein Stück weit die Hoffnung auf einen erfolgreichen Neuanfang wider. Tatsächlich schienen einige Features in den Benutzer-Präferenzen von TwoGo implementiert worden zu sein, die den tatsächlichen Bedarf von Berufspendlern in den Vordergrund stellen.

Die zugehörige App konnte ich damals allerdings noch nicht ausprobieren, weil sie für mein Nokia Lumia 800 schlicht nicht verfügbar war 😕

Daran hat sich zwar bis heute nichts geändert, doch vor einer Woche habe ich mir nun auch ein Android-Handy zugelegt – einzig und allein zu dem Zweck, TwoGo ausprobieren zu können – mag verrückt klingen – ist aber so. 🙂

Die App – der erste Eindruck

Die App selbst konnte ich im Google Play Store ruckzuck finden und installieren. Das Icon dafür ist schön gestaltet und aussagekräftig. Was mir bereits beim Download auffiel, war die geringe Abruf-Zahl von ca. 1000. Damit können noch nicht viele Vermittlungen stattgefunden haben, trotz einiger positiver App-Bewertungen.

Die Option Kostenlose Demo war mir einen Fingerdruck wert, führte aber lediglich über eine Gerd-Bosch-Testanmeldung auf den selben Start-Dialog, wie wenn ich mich echt angemeldet hätte. Das finde ich nicht nur nicht hilfreich, sondern ziemlich blöde, da ich mit der Zurück-Taste auch nicht wieder auf den Anmeldedialog zurückkehre, sondern die App knallhart beendet wird. Und beim erneuten Start der App gelange ich nicht etwa wieder zur Anmeldung, sondern bin nun dauerhaft zu Gerd Bosch mutiert 😮

Entkommen bin ich dieser Persönlichkeitsstörung schließlich durch eine De- und Neu-Installation der App. Später habe ich eine weitere Möglichkeit gefunden per Ausschalt-Knopf über Einstellungen->Benutzer (rechts oben im Bild unten). Wenn ich das als erfahrener Entwickler und wohlwollender Nutzer bereits konfus finde, wie lieblos und abschreckend mag so etwas auf einen normalen Anwender wirken!? 😮

Nach der Anmeldung mit dem zuvor auf der TwoGo-Seite erstellten Account waren auch die dort angelegten Präferenzen und Fahrten sofort in der App verfügbar. Die Synchronisation mit dem Serverprofil scheint also zu funktionieren. So weit, so gut. Als erstes möchte ich mich nun als Fahrer feil bieten und damit fangen die Probleme an…

Die Erwartung

Ich sollte damit beginnen, was ich mir als Teilnehmer eines Spontanten Mitfahrsystems in der Rolle Fahrer eigentlich wünschen würde. Wie die meisten Zeitgenossen bin ich bequem und will mich frei und spontan entscheiden. Ich möchte entspannt aus dem Haus gehen, mich ins Auto setzen, den Radio und die Mitfahr-App einschalten, die mich zur Arbeit navigiert und freundlich und geduldig wie jeden Morgen eine einzige Frage stellt: „Möchtest du wieder jemanden zur Arbeit mitnehmen?“ und die ich gut aufgelegt mit einer „Ja/Nein“-Antwort bzw. mit entsprechendem Fingerdruck beantworte. 🙂

Die Ernüchterung

Was ich aber ganz sicher nicht will, ist eine vorausgehende langwierige Planung verbunden mit einem gefühlten Zwang zum morgendlichen Hab-Acht-Termin-steht-gleich-an-sieh-zu-dass-du-deinen-Kaffee-austrinkst. Selbst wenn ich jeden Früh meist um ziemlich die selbe Zeit das Haus verlasse, möchte ich die Freiheit besitzen, eine Viertelstunde früher oder später in mein Auto zu steigen. Das heißt, ich will mich nicht zum Sklaven eines starren Planziels machen und der Dialog unten sieht für mich aus wie ein bescheuerter Busfahrplan! Mal ehrlich – wer möchte sich schon frühmorgens allein durch das Bewusstsein gestresst fühlen, dass zur festgelegten Zeit mit der Unerbittlichkeit eines Weckers die ersten Mitfahrwünsche eintrudeln können? 😡

Knackpunkte

Der völlig überflüssige Dialog oben zeigt deutlich, dass die Betreiber von TwoGo immer noch nicht verstanden haben, was ein erfolgreiches Spontanes Mitfahrsystem ausmacht:

  1. Zum Mitschreiben: Es geht nicht um eine verbesserte Mitfahrzentrale! Anstatt die Planungsarbeit und zugehörige Verabredung dem Fahrer (Kunden!) des Systems aufzubürden, muss ein Echtzeit-Vermittlungsservice beim Betreiber in der Lage sein, Angebote von fahrenden Autos zu vermitteln! Keine leichte Aufgabe, aber wozu sonst wären Cloud-Computing und Server-Farmen gedacht und wozu hat man den Navigations-Experten Nokia mit im Boot?! Oder um es mit bedeutenderen Worten auszudrücken:

    „Look at the design of a lot of consumer products — they’re really complicated surfaces. We tried to make something much more holistic and simple. When you first start off trying to solve a problem, the first solutions you come up with are very complex, and most people stop there. But if you keep going, and live with the problem and peel more layers of the onion off, you can often times arrive at some very elegant and simple solutions. Most people just don’t put in the time or energy to get there. We believe that customers are smart, and want objects which are well thought through.“

    — Steve Jobs in Newsweek (2006)

  2. Das Anreiz-System fehlt. Verständlicherweise möchte man solch ein System während der Einführungsphase kostenfrei anbieten. Doch wie soll damit das Interesse von Berufspendlern geweckt werden? Es ist wichtig, Dynamic Ridesharing von Anfang an als Business zu kommunizieren, als Dienstleistung, die viel billiger als Taxi und viel seriöser als Trampen ist! Schließlich müssen auch Mitfahrer davon überzeugt werden, solch einen Dienst regelmäßig als Ersatz für die eigene Autofahrt zu nutzen. Neben den Aspekten Verfügbarkeit und Sicherheit zählt da auch die Kostentransparenz und der langfristige Kostenvorteil. Der Dienst wird genau dann erfolgreich sein, wenn die ersten mitfahrenden Pendler anfangen, ihr Zweit- oder Drittfahrzeug zu verkaufen 🙂

  3. Im Umkehrschluss zum vorigen Punkt bedeutet einen Vermittlungsdienst anzubieten ein ernsthaftes Commitment in Bezug auf Benutzerfreundlichkeit, Verlässlichkeit und Sicherheit. Für diese Professionalität, die ich mir als Betreiber bezahlen lasse, muss ich in jeder Hinsicht ein perfektes System bieten. Und da für ein erfolgreiches Spontanes Mitfahrsystem bekanntlich ein großes Rad zu drehen ist, nämlich um das kritische-Masse-Problem zu lösen, was mittlerweile auch SAP erfasst hat, ist professionelles Planen und Handeln um so wichtiger. Eventuell ist es genau dieser Groschen, der bei SAP noch fallen muss!? Halbherzige Versuche wie Open-Ride oder flinc sind in meinem Augen jedenfalls kläglich gescheitert.

  4. Die Benutzung des Systems muss (fast) so einfach wie das Herausstrecken des Daumens beim Trampen sein – eine intuitiv bedienbare Knopfdrucklösung eben. An den notwendigen Benutzeraktionen muss solange gefeilt werden, bis nur die allernotwendigsten Handgriffe übrig bleiben. Das umfasst sämtliche Schritte vom Gesuch/Angebot über die Vermittlung und die gemeinsame Navigation bis hin zum unsichtbaren bargeldlosen Zahlungsvorgang. Apropos: mit einem anfänglichen Verzicht auf eine Vermittlungsprovision für den Betreiber während der Einführungsphase ließe sich durchaus eine Marketing-Kampagne aufbauen, ohne die Anreize zu gefährden! 😉

    „Dieses Telefon wird nur einen Knopf haben. Findet heraus, wie.“
    — Steve Jobs zum iPhone

Warten auf Godot

Ich habe TwoGo mehrmals sowohl als Fahrer wie auch als Mitfahrer ausprobiert und beides hat zu keinem Angebot, gschweige denn einer Vermittlung geführt. Mehr noch, die Einstellungs-Dialoge dazu sind für meinen Geschmack nicht intuitiv bedienbar und fehlerträchtig. Während ich zum Beispiel in München noch in der U-Bahn saß, wollte ich als Mitfahrer den U-Bahn Standort Messestadt-Ost eingeben bzw. habe gehofft, dass bei der Eingabe ein Popup-Fenster aufgeht, das mir eine Kartenansicht zur Auswahl navigierbarer Adressen im Umkreis anbietet. Das hat aber nicht funktioniert, es gelang mir lediglich, mich mit dem Suchsystem von TwoGo auf die Kompromissformel „Neue Messe München“ zu einigen. Den Fahrer-Modus fand ich noch schlimmer. Es ist mir nicht gelungen, spontan ein von den vorkonfigurierten WORK und HOME abweichendes Ziel anzugeben. Überhaupt finde ich die Benutzungsoberfläche schrecklich. Wenn ich auf dem Smartphone-Bildschirm schon wenig Platz habe, verschwende ich den nicht mit einer dicken Überschrift und einem noch breiteren Terminband. Was bedeutet „Als Fahrer“ und wozu verwende ich „Erweiterter Modus“?

Bei einer Fehlbedienung wie dem versehentlichen Anlegen der selben Fahrt zur selben Zeit in beide Richtungen reagiert das System mit einer Warnung, aus der die Problemursache aber nicht klar hervorgeht. 😥

Da meine Anfragen, wie gesagt, zu keiner Vermittlung geführt haben, kann ich nicht beurteilen, ob das System das Handshaking zur Verabredung und die anschließende gemeinsame Navigation besser gemeistert hätte. Angesichts der offensichtlich nicht gemachten Hausaufgaben bei der Angebot & Suche-Funktionalität und dem Wust versandter Emails dazu (siehe unten) bin ich leider sehr skeptisch, dass ausgerechnet die schwierigste Teilaufgabe besser vonstatten geht. Das Problem an der Sache ist, dass Interessenten bereits in einem frühen Stadium vergrault werden und nie wieder zurückkehren. Wenn ich mir auf der anderen Seite vorstelle, wieviele im einzelnen geniale und revolutionäre Innovationen im iPhone von 2007 steckten – Multitouch, App-Store, Gorilla-Glas, iTunes, iOS usw – und dennoch wurde es erst als reifes Produkt auf die Menschheit losgelassen. SAP und Nokia sollten sich eine dicke Scheibe davon abschneiden!  😆

Weitere Ungereimtheiten

Zahlreiche Schreibfehler zieren die App-Dialoge und die Texte der TwoGo-Homepage (z.B. hier, oder im Bild unterhalb).

Man kann dies als Peanuts abtun, aber äußerliche Schlampereien sind oft Anzeichen tieferliegender Probleme. Auch Techi-Ausdrücke wie „übersteuern“ sind ein Hinweis darauf, dass die Dialog-Bezeichnungen eher direkt aus der Feder der Programmierer stammen, statt von der Marketingabteilung überarbeitet worden zu sein. Die Funktionalität der Dialoge ist offensichtlich nicht zu Ende gedacht. Z.B. lassen sich sinnvollerweise oft benutzte Orte zwar unter Kurzbezeichnungen ablegen.

Dass diese dann aber beim Anlegen von Fahrten nicht per Auswahlliste zur Verfügung stehen, hemmt den Bearbeitungsfluss erheblich.

Nach meinem persönlichen Gesamteindruck enthält die App Schnitzer, die man sich bei professioneller Anwendungs-Software im Produktiv-Betrieb nicht erlauben darf. Das Thema Benutzerfreundlichkeit wird überaus stiefmütterlich behandelt. Bestes Beispiel ist die Dialog-Seite unter Einstellungen->Pendeln. Entweder sind die Optionen glasklar beschrieben oder der Benutzer kann über eine entsprechende Hilfefunktion erläuternde Hinweise erhalten. Von den acht angebotenen Optionen unter Pendeln würde ich lediglich zwei davon als klar verständlich bezeichnen!

Quo vadis

Ich würde nicht so weit gehen, zu sagen, SAP und Nokia hätten es vermasselt. TwoGo im jetzigen Stadium ist zwar ein NoGo und die zu bewältigenden Aufgaben sind nur zu gefühlten 3 Prozent erledigt. Aber immer noch stehen da zwei Schwergewichte mit idealen Voraussetzungen (Navi-Knowhow, Cloud-Infrastruktur), die es finanziell und personell stemmen könnten. Doch das allein macht es bekanntlich nicht:

„So we went to Atari and said, ‘Hey, we’ve got this amazing thing, even built with some of your parts, and what do you think about funding us? Or we’ll give it to you. We just want to do it. Pay our salary, we’ll come work for you. And they said, ‘No’. So then we went to Hewlett-Packard, and they said, ‘Hey, we don’t need you. You haven’t got through college yet’.“

— Steve Jobs

SAP und Nokia halten einen Juwel in Händen und müssen ihn lediglich schleifen. Aber erkennen sie das? Und woher soll die Inspiration kommen? Die jetzige App ist so schwerfällig, als wäre sie bei einem SAP R3 Consultant als ABAP-Lösung in Auftrag gegeben worden.

Ich meine, SAP und Nokia-HERE müssten in einem Team von ca. 10 bis 20 Entwicklern noch enger zusammenarbeiten, mit einem Visionär a lá Steve Jobs an der Spitze. Zugegeben – Letzteres ist unrealistisch. Aber die Schlüsselfrage ist doch, ob das Business-Software-Unternehmen SAP zu echter Begeisterung für diese Aufgabe und Professionalität in der Umsetzung willens ist – die Fähigkeit dazu wäre da 😉

„The system is that there is no system. That doesn’t mean we don’t have process. Apple is a very disciplined company, and we have great processes. But that’s not what it’s about. Process makes you more efficient. But innovation comes from people meeting up in the hallways or calling each other at 10:30 at night with a new idea, or because they realized something that shoots holes in how we’ve been thinking about a problem. It’s ad hoc meetings of six people called by someone who thinks he has figured out the coolest new thing ever and who wants to know what other people think of his idea.“

— Steve Jobs in „The Seed of Apple’s Innovation“ in BusinessWeek (2004)

SAP hat zu recht erkannt, dass ein auf einzelne Firmen bezogenes Mitfahrsystem die kritische Masse an Teilnehmern nicht erreichen kann und sich entsprechend einem größeren Nutzerkreis geöffnet. Nötig wäre für SAP aber gewesen, dabei auch den Blickwinkel zu wechseln. Stattdessen geht man offenbar immer noch davon aus, dass Geschäftsleute und Firmenmitarbeiter vor ihrem PC sitzend ihre Angelegenheiten über Outlook und Email regeln sollen. Das ist ein fataler Irrtum – niemand will umständlich kommunizieren! Und dabei kommt es wie so oft auf den kleinen gewissen Unterschied an. Denn genau der ist es, der ein extrem erfolgreiches Produkt wie das Apple iPad von einem totalen Flop wie den Microsoft Slate trennt.

Und zum Schluss noch etwas Banales: die Konkurrenz schläft nicht! Google könnte es, Apple könnte es und möglicherweise sind Startups wie Uber oder GraphHopper nur noch ein paar Schritte von der Realisierung eines Instant Ridesharing Systems als Next Big Thing entfernt 😉

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